Wortlaut des Bauerbriefes (Mit kurzen Erläuterungen)
Alt-Ammersch Recht und Gewohnheit
Anno 1614, den 8. Februar
Bekenntnis der Kirchspiele Rahstedt und Wievelstedt
1.
Daß das älteste und nächste Blut, so kein Schwertspill vorhanden ist, die Spillseite erbet, nach laut der Bockelsburger und Ammerschen Rechte.
(Gibt es keine männlichen Erben (Schwertspill), so gilt das Ältesten-Erbrecht
auch für Frauen (Spillseite=Spindel))
2
Daß wir dem Hochwolgebornen Herrn oder verordneten Beamten, nach Gelegenheit dero Erben geben, auch gleich und recht davon thun, uns zu Nutze machen, als immer
möglich.
(allgemeine Untertänigkeitserklärung)
3
Höret der Obrigkeit an Ehre und Gehorsam, an Zinse, Pachten, Hofdiensten, wie von altersher geschehen.
4
Wann wir der einen wegen geladen werden, dass der ander wegen wedder geladen werde, das machet den frei sein.
5
Auch ist von alters her ein Recht und Gebrauch, so einen Wirth oder Wirthin eine Suster, Broder oder Verwandtin bei sich auf dem Erbe stürben, sein nachgelassen Gut bei dem Erbe oder
Hause geblieben.
(Das Vermögen unverheirateter Verwandter fällt an das Haus
zurück.)
6
Daß wir unser Erbe und Gut an Heide, Land, Holzung zu guter maßen zu nutze machen frei zu gebrauchen, als uns von alters her geerbet worden ist.
(Anspruch auf die Rechte in Gemeinheit und Wald wird als "von alters her
ererbt" unterstrichen - gegen damals aktuelle Ansprüche der Obrigkeit.)
7
Ob nun etwa einer oder mehr befunden würden, dass ein Verderber an Holzung, Ländereien oder sonsten das Erbe umbrächte, kann die Gemeine nicht entgelten.
(Richtet jemand Schaden an Wald oder Land an, wird die Gemeinschaft nicht die
Strafe zahlen.)
8
Wann Landesnot ist oder die hohe Obrigkeit sonst zu thun pfleget, wie zu Oldenburg zu Landfehde, wie man das nennet, einen Tag oder 14 zu liegen, und von einem Knechtgelde von alters her
nichts gewusst.
(Bereitschaft zum Kriegsdienst, nicht aber zu einer
Wehrsteuer)
9
Auch hat von alter her die Gemeine ihre Heide und Weide frei gebrauchet, in welchen sie von neuen Einkömmlingen vielen nun verkürzet worden.
(Klage über Ansiedlung neuer Bauernstellen)
10
Daß wir unser Bauerrecht halten an Weide und Heide, als unsere Vorfahren gethan haben, verteidigen, und die uns zu nahe grasen und darüber thun, daß sie denselben pfänden nach Recht , als
Bauerrecht gewesen und uns von unsern Vorfahren her geerbet worden ist.
(Vieh aus benachbarten Bauerschaften wird nicht auf der Weide
geduldet.)
11
Daß wir unsere Depe (= Wasserläufe) klar halten, und die Weide, (wir) klagen aber, dass ihnen an vielen Orten Wasser zugeleitet wird, das unseren Vorfahren nicht geschehen ist, daß wenn
ein Schur regnet, fast alle Jahr die Wischen blank sind.
12
Ihre Wege und Stege machen sie. Da aber einer befunden, der das nicht thut, strafen sie nach Gebühr, ohne der Obrigkeit Vorwissen, als von alters her gewesen
ist.
(Brücken- und Straßenbau war Sache der Anlieger, Kontrolle und Gerichtsbarkeit
nicht Sache der Obrigkeit, sondern der Selbstverwaltung)
13
Wann Bauerbier getrunken, wird Friede dabei geboten, dass sie friedlich aus und zu Haus gehen sollen. Wer aber darüber thut und mehr Bier geußt, als man mit einem Fuß bedecken kann, muß
das Faß wieder füllen.
(Gemeinsames Feiern stärkt die Gemeinschaft, es soll jedoch „gesittet“
zugehen)
14
Wer seine Brüche ( = Strafen) nicht zu rechter Zeit
bezahlet, haben sie Macht, denselben zu pfänden.
15
Belangend die Strafen an den Depen (= Tiefen, Wasserläufen), ist ein Henkemann Bier, die andern aber , die an Heidmarken und Wegen sind, drei Grote. Wer aber sich nicht will einstellen, i
dem die Strafe dubbelt up, denn der gestrafet wird. Geschieht ohne der Obrigkeit Vorwissen, als von alters her gewesen ist.
16
Wann jemand befunden wird, etwas aufzugraben, oder der etwas zuhegede ohne der Obrigkeit Vorwissen oder der Gemeine, haben sie Macht, dasselbe wieder
dalzureißen.
(Das Einzäunen von Land aus der Gemeinheit für private Zwecke musste zuvor
genehmigt werden.)
17
Wenn aber Zwistungen von Eckerfall, Weteringen, Zuwassen, Hesterpaten vorfallen, haben sie das vor dem Landrecht zu suchen.
(Für die Forstaufsicht war der gräfliche Holzvogt zuständig. Zwistungen:
Streit, Eckerfall: Eichenfall für die Schweinemast, Weteringen: Entnahme von Holz und Laub, Hesterpaten: Eichen- und Buchensetzlinge)
18
Wenn etwas bei uns gestohlen wird, wird der Täter wohl verfolget, dass ein jeder das Seine wiederbekommt, aber keine Strafe darauf, besondern der hohen Obrigkeit
befohlen.
(Diebstahl gilt nicht als Kavaliersdelikt: Zuständig ist die gräfliche
Gerichtsbarkeit, der Amtmann in Rastede)
19
Was Weltwort oder Scheltwort anlanget, so sie bei dem Bauerbier geschehen, wo sie nicht zu schwer sein, strafet die Gemeine alsobald. Außerhalb aber dem Bauerbier, da solches geschehet,
hat die Gemeine nicht Macht, darüber zu richten sondern die Obrigkeit.
(Alkoholeinfluss ist strafmildernd.)
20
Wenn jemand eine Brauelse Bier brauete, sein Vieh damit zu retten, ist ihm dasselbe nicht versperret, dasselbe zu verkaufen, auszuzapfen, als uns dasselbe von unsern Eltern angeerbet
worden ist.
(Überschüssige „Tiermedizin“ darf auch ohne Schankerlaubnis in kleinen Mengen
verkauft werden.)
21
Weilen auch ein hergebrachter Gebrauch, dass ein jeder, den Gott gesegnet, Hochzeit, Kindtaufe halten, seine Nachbaren in Nutzen und Nöten ihnen einen Beisprung gethan, auch seine
nächsten Verwandten dazu gefordert, und die Gemeine klaget, dass ihnen solches versperret, bitten Ihre Gnaden unterthänig, das Geld, dass sie mögten bei ihrer alten Gerechtigkeit bleiben,
nicht zum Ueberfluß ihren Nachbarn und Freunden zu geben. Bricht Vieh aus, und stiftet es Schaden, so wird es durch zween Manns besehen und der Schaden gebessert.
(Zunächst geht es um Einschränkungen allzu üppiger Feiern, durch die die Bauern sich verschulden müssen ("Beisprung") - was nicht im Steuerinteresse der Obrigkeit ist. Im Schlusssatz wird eine Regelung von Schaden durch Vieh nach Beurteilung von "zween Mann" (= die Bauernvögte) vorgesehen.
Das Original des Bauerbriefes befindet sich im Staatsarchiv Oldenburg, Best. 20