Das Heimatmuseum  Wiefelstede hat ein großes Interesse daran, Berichte von Kindern und Jugendlichen zu bekommen, die nach dem Krieg durch die Aktion in die Gemeinde Wiefelstede gekommen sind. Zeitzeugen mögen sich bitte über das Kontaktformular dieser Homepage melden. 

 

Flüchtlingsschicksale 1945:

 

Mit "Aktion Storch" von Berlin nach Wiefelstede
von Wolfgang Hase

 

"Solange noch so ville Jerumpel in Balin rumliecht, so lange bleib ick hier mang die Kühe!" Zehn Jahre alt war der kleine Berliner, als er sich zu diesem Entschluss durchrang. Seine Mutter war in Berlin geblieben, und wo sein Vater war, das fragten sich beide seit Monaten.

Anfang November 1945 spielte sich diese Szene in der Ammerland-Gemeinde Wiefelstede ab. Der Zehnjährige war Horst Baber aus Berlin-Wilmersdorf. In den letzten Oktobertagen war er im Rahmen der Evakuierungsmaßnahme "Aktion Storch" aus dem zerbombten Berlin herausgeholt worden. Mit ihm waren es allein 4000 Kinder, die zunächst im Land Oldenburg Quartier finden sollten.

Horst Baber war dem Bauern Johann Ovie und seiner Ehefrau Sophie zugewiesen worden. Um deren Mittagstisch versammelten sich noch einige Flüchtlinge mehr und das hier gezeigte Foto - eines der wenigen überlieferten Bilddokumente jener Jahre - zeigt sie uns noch einmal: Links der 14jährige Willy Labrenz mit seiner Mutter, die aus Walleiken (Ostpreußen) zunächst nach Berlin geflohen waren. Fast ein Jahr hatten sie für diesen Weg auf den Landstraßen benötigt und waren nun ebenfalls Dank der "Aktion Storch" bei der Familie Ovie untergekommen. Auch Frau Labrenz hatte seit vielen Monaten nichts mehr von ihrem Ehemann gehört. Es folgen Johann Ovie mit Sohn (10) und Tochter (14), daneben der kleine Horst Baber aus Berlin, Sophie Ovie und ganz rechts die 5jährige Hildegard Tesmar, über deren Angehörige zunächst nichts bekannt war. Des weiteren lebte als "Fremder" noch ein aus der Kriegsgefangenschaft entlassener Soldat aus dem Saarland auf dem Hof.

Sauerkraut und Kartoffeln mit Speck gab es an jenem Tag, als dieses Foto entstand und damit stand sich die Familie Ovie mitsamt ihrer "Einquartierung" recht gut. Lange Monate des Elends sollten sich für das unter den Kriegsfolgen leidende Europa anschließen. Trotz eigener Notlage organisierte die britischen Militärbehörden in ihrer Zone ab Januar 1946 eine tägliche Speisung von 1,5 Millionen Kindern. Die Lebensmittel wurden aus den Beständen der Besatzungstruppen entnommen. Allein in der Stadt Oldenburg bekamen 17.000 Kinder an fünf Tagen der Woche jedenfalls eine warme Suppe.

Die Bevölkerung des Landes Oldenburg nahm innerhalb eines Jahres bis zum Juni 1946 um über 166.000 Menschen auf 722.366 Einwohner zu. Die Stadt Oldenburg war sogar zur Großstadt geworden: 105.000 Einwohner - das bedeutete eine Zunahme um über 30.000 seit 1939.

Die Unterbringung der Flüchtlinge machte natürlich Probleme und nicht überall waren die aus dem Osten kommenden Menschen willkommen in der neuen Heimat. Das Land Oldenburg verfügte im Sommer 1946 über 119.000 Wohnungen mit 466.247 Wohnräumen für die über 700.000 Bewohner. Anschaulich wird die Wohnungsnot angesichts der folgenden Zahlen aus dem Oldenburger Land jener Tage: Im Stadtkreis Delmenhorst waren die Verhältnisse noch am günstigsten - mit 8,2 Quadratmetern pro Person, am ungünstigsten waren sie in dem von Kriegszerstörungen besonders betroffenen Wilhelmshaven, wo die Wohnfläche nur noch 4,6 Quadratmeter betrug. (Stadt Oldenburg 7,1 qm, Landkreis Oldenburg 6,0 qm, Friesland 7 qm, Wesermarsch, 6,4 qm, Ammerland 5,5 qm, Vechta 4,9 qm und Cloppenburg 5,2 qm.)

Doch auch Zeichen des Neubeginns fehlten in jenen Tagen nicht: An dem Tag, als Horst Baber bei der Familie Ovie eintraf, hoben die britischen Besatzungsbehörden das Umgangsverbot teilweise auf: ihre Soldaten durften wieder in deutschen Familien verkehren.

...und vieles ging einfach weiter wie vor dem Kriegsende: Im Oldenburger Lichtspielhaus "Schauburg" spielte man wieder vor ausverkauftem Haus August Hinrichs Stück "Alles für die Katz" und der VfB Oldenburg kam gegen die Osternburger Tura 76 über ein 2:2 nicht hinaus.