Entlassung aus der Leibeigenschaft:

Freibrief

für Cathrina Bruns         

aus Borbeck

(1739)

 

von Wolfgang Hase

 

Es war der 9. Oktober 1739. Freifrau Margaretha Dorothea Maria von Rhaden saß auf ihrem Gut Südholte an ihrem Schreibtisch und schnitt sich eine neue Schreibfeder an. Eine ihrer Mägde hatte ihre Dienstpflicht absolviert und benötigte eine schriftliche Bescheinigung. Aus Borbeck im Kirchspiel Wiefelstede stammte die Magd. Hier, in der Grafschaft Oldenburg gelegen, hatte die Familie von Rhaden schon seit dem 15. Jahrhundert den Meierhof (Bruns) zu eigen - bis zur Reformation als Lehen des Klosters Rastede - und auch die Leute auf dem Hof gehörten ihr - als Leibeigene.

 

Den Vornamen ihrer Magd Bruns kannte die Freifrau nicht - ein Angestellter sollte später "Cathrina" an der ausgesparten Stelle nachtragen. Neben der Verwaltung des Stammsitzes ihrer Familie, dem Gut Südholz-Raden im Kirchspiel Bakum im Niederstift Münster, hatte die adelige Erbfrau noch für das Gut Lethe, gelegen in den Kirchspielen Emstek und Großenkneten, zu sorgen.

 

Hier, im fürstbischöflichen Niederstift Münster, galt noch weitgehend die seit dem hohen Mittelalter entwickelte lehensrechtliche Sozialordnung. Die allermeisten Bauern hatten ihre Höfe als Lehen von einer der zahlreichen weltlichen Adelsfamilien oder von einer der geistlichen Einrichtungen. Damit verbunden war zumeist, dass auch die Bauernfamilien "eigenhörig" , also leibeigen waren - mit den entsprechenden Rechten und Pflichten. Überdurchschnittlich hoch war dabei die Zahl der Leibeigenen in der bäuerlichen Oberschicht. Die Unterschicht der Heuerleute dagegen war gar nicht betroffen - weil sie keinen Grundbesitz hatten, fielen sie aus der lehensrechtlichen Ordnung.

Leibeigen war auch die Familie Bruns aus dem ammerländischen Borbeck, die den dortigen Meierhof von der Familie von Rhaden schon seit dem späten Mittelalter zu Lehen hatte. Obwohl die damalige dänische Landesherrschaft in der Grafschaft Oldenburg bereits im späten 17. Jahrhundert die Leibeigenschaft faktisch abgeschafft und die unregelmäßig z. B. bei Hochzeiten und Todesfällen anstehenden Sondersteuern (Auffahrt, Weinkauf) durch regelmäßige Abgaben ersetzt hatte, galt dies für die Familie Bruns nicht. Ihr Grund- und Leibherr entstammte einer anderen, "ausländischen" Landesherrschaft. Und natürlich galt für die Leibeigenen das Recht ihrer Herrschaft.

 

So musste auch die am 4. April 1710 geborene Tochter des Hausmanns Gerdt Bruns und seiner 2. Ehefrau Wübke ihren "angeborenen" Pflichten nachkommen. Dazu gehörte der Gesindezwangsdienst. Während für ihren Bruder, den Hoferben, die Dienstpflicht durch eine Geldzahlung ersetzt wurde, kam dies für die vier Geschwister nicht in Frage. Zwei Jahre sollte sie auf den für sie recht weit entfernten Gütern ihrer Herrin als Magd dienen.

 

Das Dienstende war schon einige Jahre her, als Vater Gerdt Bruns 1739 bei der Herrin in Südholte einen Antrag auf Entlassung aus der Leibeigenschaft für seine Tochter stellte. Schon vor drei Jahren, am 30. November 1736, hatte diese den Köter Hinrich Hinrichs aus Wiefelstede geheiratet und es wurde Zeit, dies auch zu legitimieren. Mit dem Verlassen des elterlichen Hofes hatte Cathrina (zuhause rief man sie "Trine") den Rechtsbereich ihrer Leibherrschaft verlassen. Das durfte sie eigentlich nur nach einem Freikauf und der Ausfertigung eines Freibriefes.

Dies sollte nun endlich nachgeholt werden. 12 Reichstaler musste Vater Gerdt für den Freibrief bezahlen.Was die Freifrau Cathrina in dem Freibrief gewährt, sind die Rechte auf Freizügigkeit, auf Niederlassungs- und Gewerbefreiheit - also die Rechte, die man später zu den "bürgerlichen Grundrechten" zählen sollte - 1739 noch längst keine Selbstverständlichkeit.